Musik, die froh und fröhlich stimmt
Nikolaus Cybinski
aus dem Jahrbuch «z'Rieche 2017»
25 Jahre Orgelfestival in St. Franziskus: Die November-Konzerte haben ihren festen Platz im Musikleben der Region gefunden. Das Jubiläum bietet Anlass zum Rückblick.
Die Kirchenmusik war im katholischen Riehen lange eine Art theologisches Stiefkind. Die alte Kirche am Chrischonaweg besass nur ein Harmonium. Gegen Ende der 1950er-Jahre bekam sie ein Pedalharmonium, das bis Mitte der 1960er-Jahre gespielt wurde, dann aber, weil irreparabel, ersetzt werden musste. Das alte Harmonium wurde wieder gebraucht. Auf Dauer keine Lösung. Da lag es nahe, mit dem Neubau der Kirche auch einen Neubeginn für die Kirchenmusik zu wagen, zumal der Architekt in seinem Plan einen Platz für eine Orgel vorgesehen hatte. Klar war: Die Zeit der Billiglösungen musste endlich vorbei sein. In der katholischen Gemeinde wurde das Verlangen immer dringender, endlich eine ‹richtige› Orgel zu bekommen. Am 25. April 1985 wurde es konkret: Der Kirchenchor beschloss auf einer Versammlung einstimmig, eine Orgelbaukommission zu berufen, die das «Projekt Orgel» detailliert ausarbeiten sollte.
Ein geglückter Neubeginn
Diese Kommission, bestehend aus acht Mitgliedern, hatte etliche wichtige Fragen zu beantworten, und als erste gleich die, die das ganze Vorhaben als Kern in sich trug: Was für eine Art Orgel soll es werden? Eine mechanische Pfeifenorgel, wie von vielen in der Gemeinde gewünscht, oder eine elektronische Orgel? Welche Aufgaben sollte die neue Orgel erfüllen? Rein messdienliche? Oder darüber hinausgehende? Je nachdem änderte sich die Grösse des Instruments, und das hiess: die Zahl der Register. Sollte das Gehäuse vom zu wählenden Orgelbauer mitgeliefert oder von einem lokalen Schreiner gefertigt werden? Vieles musste bedacht werden, und die Orgelbaukommission informierte regelmässig den Pfarreirat und die Pfarreiversammlung über den Stand der Dinge. Dem Pfarreirat empfahl sie, die Orgel samt Gehäuse bei der Firma Hans Füglister in Grimisuat zu bestellen. Mit diesem Entscheid begann ein neues Kapitel der katholischen Kirchenmusik in Riehen.
Über diese Orgel äussert sich der derzeitige Organist Tobias Lindner wie folgt: «Mein Dienst-instrument ist eine kleine, aber feine Orgel, die sich passenderweise ein wenig am Armuts-ideal des Heiligen Franziskus orientiert: Sie besitzt nur 25 Register und ist somit für den grossen Kirchenraum doch recht sparsam gehalten. Eine reiche Gemeinde hätte sich bestimmt noch zehn Register mehr gegönnt. Stilistisch orientiert sie sich am barocken elsässischen Orgelbau. Handwerklich ist sie von höchster Qualität. In all den 25 Jahren gab es noch keine einzige Reparatur! Es klingt aber an sich die komplette barocke Musik auf ihr sehr gut. Bei romantischer Musik muss man schon ein wenig aufpassen und auswählen, weil ihr einfach die Grundtönigkeit und die Masse fehlt. Bei moderner Musik genauso. Wenn es um Einzelfarben in den Registrierungen geht, dann kann sie das sehr gut. Kathedralklang ist natürlich nicht machbar. Das Wichtigste darf man aber nicht vergessen: Sie ist ja in erster Linie ein liturgisches Instrument. Sie soll den Gemeindegesang stützen und leiten. Das kann sie ideal.»
Eine neue Orgel macht noch kein Festival
Beginnen wir diese Rückschau auf das Orgelfestival aus heutiger Sicht, so ist in erster Linie an den erstaunlichen Aufschwung zu erinnern, den die Riehener Kirchenmusik im vergangenen Vierteljahrhundert genommen hat, und der ist lokalgeschichtlich ungewöhnlich, denn er ereignete sich am Rande einer Stadt, die sich als vitale Musikstadt über die Schweiz hinaus hoher Wertschätzung erfreut. Was hier gewachsen ist, ist vor allem das Werk der beiden Franziskus-Organisten Cyrill Schmiedlin und Tobias Lindner, deren kontinuierliches und einfallsreiches Engagement die katholische Kirchenmusik lebendig erhält.
Cyrill Schmiedlin, der von 1988 bis 2002 Organist und Chorleiter an St. Franziskus war, war der Initiator des Orgelfestivals. Der geborene Basler wurde nach der A-Matur an der Klosterschule Einsiedeln Orgelschüler von Rudolf Scheidegger an der Basler Musikhochschule, erlangte das Konzertdiplom mit Auszeichnung, wurde danach Stipendiat bei Daniel Roth an der ‹Cité Internationale des Arts› in Paris und Meisterschüler am Strassburger Konservatorium. Seinen Abschluss im Fach Kirchenmusik machte er an der Musikhochschule Luzern.
Für die Riehener Katholikinnen und Katholiken wurde Schmiedlin zum Glücksfall. Als Organist und Kantor entfaltete er ein reges Musikleben, initiierte und veranstaltete in den frühen 1990er-Jahren zahlreiche Konzerte, die er ab 1995 auf die sonntäglichen Novembernachmittage in St. Franziskus konzentrierte. Sucht man den musikalischen Kern des Orgelfestivals, findet man ihn in einem Interview, das er im Oktober 1992 der ‹Riehener Zeitung› gab. Gefragt, was ihm die Orgel bedeute, antwortete er: «Die Orgel ist ein typisch religiöses Instrument. Was mich daran fasziniert, ist die Form des musikalischen Ausdrucks: Religiosität und Mystik. Sämtliche musikalischen Empfindungen kann man durch das Spiel der Orgel erleben. Dennoch ist die Orgel ein objektives Instrument, denn es gesellt sich eine intellektuelle Komponente dazu. Das heisst: Ein rein sentimentaler Gefühlsausdruck ist nicht möglich.» Mit diesem Kirchenmusikverständnis hat er – beginnend mit dem Kollaudationskonzert der Franziskus-Orgel am 12. Januar 1992 und endend am 9. Dezember 2000 im Dialog mit Pascal Reber – die rund 50 Konzerte konzipiert, die das Orgelfestival zum festen Bestandteil des lokalen Musiklebens machten.
Ein bruchloser Übergang
Tobias Lindner, der im November 2002 sein Amt als Organist und Kantor an St. Franziskus antrat, ist gebürtiger Deggendorfer. Das heisst, er ist ein Bayer, man hört es an seiner Sprache, und er ist Bayer geblieben, auch wenn er nach dem Studium an der Fachakademie für katholische Kirchenmusik in Regensburg seine Heimat früh verlassen hat, um sich an der Musikhochschule in Freiburg im Breisgau bei Klemens Schnorr ganz der Orgel zu widmen. Nach dem A-Examen in Freiburg wechselte er an die Schola Cantorum Basiliensis, studierte Orgel und Cembalo bei Andrea Marcon und Generalbass bei Gottfried Bach und beendete diese Studien mit dem Diplom für Alte Musik. Seit 2016 ist Lindner selbst Professor für Orgel an der Schola Cantorum Basiliensis.
«Das Berufsbild des Kirchenmusikers kennt praktisch kein Mensch», hat er einmal gesagt, und dabei wohl sich selbst gemeint, denn wer ihn näher kennt, weiss, dass er in keine kirchenmusikalische Schublade passt, dafür ist er viel zu vital, zu einfallsreich und zu bayrisch. In den nun 15 Jahren, in denen ich ihn in zahlreichen Orgelfestival-Konzerten spielen hörte, wurde mir immer wieder eines klar: Der Mann sprüht vor Fantasie und versteht die geistliche Musik in erster Linie als frohmachende, und das heisst bei ihm auch: als fröhliche Unterhaltung. Einige Stichworte über seine Programme mögen das belegen: Seinen Einstand am 15. Novem-ber 2002 begann er zwar mit der feierlichen ‹Entrée Pontificale› von Marco Enrico Bossi, doch ihr folgten zwei transkribierte Händel-Ouvertüren und nach Johann Kuhnaus ‹Der Streit zwischen David und Goliath› spielte er Louis Lefébure-Welys ‹Bolero de concert› und danach eine ‹Elevazione› und eine ‹Suonatina› von Padre Davide da Bergamo. In diesem Programm war sogar noch Platz für Wolfgang Amadeus Mozarts ‹Adagio und Allegro für ein Orgelwerk in einer Uhr›, eines der ganz späten Disparata für das Wachsfigurenkabinett des Grafen Deym. Diesem vielversprechenden Einstand folgten bis Ende vorigen Jahres 59 Orgelfestivalkonzerte mit Themen wie «Schweizer Orgeltänze», «Alphorn goes classic», «Italienisches / Englisches / Schweizerisches / Bayrisches für die Orgel», aber auch «Alles nur Oper» mit Kompositionen von Gioachino Rossini (ein ‹Allegro vivace› aus ‹Wilhelm Tell›), Padre Davide de Bergamo, Gaetano Donizetti, Giuseppe Verdi (‹Elevazione› und ‹Offertorio in Es›), Vincenzo Petrali (‹Marcia per dopo la messa›) und Giovanni Morandi mit einer ‹Post communio in a›. In diesen bunten programmatischen Reigen passen auch «Die Bachs in Riehen» und «Franziskanische Orgelmusik». Derart tönende Vielfalt wissen nicht nur die Riehener Katholikinnen und Katholiken, sondern auch die Musikfreunde Basels und der Region zu schätzen, und so freuen sie sich in jedem November auf das Orgelfestival St. Franziskus.
Ein fester Platz im Musikleben der Region und der Gemeinde
Tobias Lindner meint dazu: «Meine Gemeinde schätzt die Konzertreihe sehr. Nach den Konzerten kommen immer viele Leute zu mir, die sich freuen und erstaunt sind, was man mit dem Instrument alles machen kann. Unser ganzer Stolz ist der Förderverein für Kirchenmusik, der die Konzertreihe finanziert und auch unsere Orchestermessen und Chorkonzerte unterstützt. Über 200 Leute sind dort Mitglied! Durchaus auch aus anderen Gemeinden oder sogar aus Weil und Lörrach. Für mich selbst ist das Orgelfestival jedes Jahr eine grosse Herausforderung. Ich muss mir gute Programme überlegen und diese natürlich auch üben. Ich suche nach interessanten Kolleginnen und Kollegen, die mit mir die Konzerte bestreiten. Das ist viel Arbeit, aber so bleibe ich als Musiker wach.»
Auch seine Aufgabe als Kantor ist Lindner sehr wichtig: «Kirchenmusiker wissen meist recht gut, welche Lieder zu welchem Feiertag passen. Absprache ist also wichtig. Es ist sehr zufriedenstellend, wenn man Musik und Lieder genau passend zu den Texten wählt. So etwas verstärkt einen Gottesdienst ja dann. Ausserdem habe ich dank des Vatikanums nicht mehr das Gefühl, dass ich in einem engen Korsett gegängelt werde. Auch in der Wahl der Orgelstücke. Vor drei Generationen wäre ich für manche meiner Schlussstücke noch fristlos gekündigt worden – ungelogen!»
Manchmal verändern sich die Zeiten ja zum Guten hin, und davon profitiert auch das Orgelfestival, denn Orgel ist heute nicht mehr (nur) Orgel. Vor dem Vatikanum war sie, so Lindner, «das perfekte Instrument für die Untermalung der katholischen Liturgie, des Kultes, um die Menschen emotional in die Geheimnisse mitzunehmen, die vorne am Altar passieren. In den Messen war relativ viel Leerlauf für die Gemeinde, der von der Orgel aufgefüllt werden musste. Heutzutage ist das nicht mehr so stark ausgeprägt. Trotzdem: Improvisieren ist nach wie vor eine gefragte Disziplin, und an zwei bis drei Stellen in der katholischen Messe bleibt Platz für schöne und passende Literatur.»